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Montag, 31. Oktober 2016

Kupfermond - preisgekrönte Rätselgeschichte





Die Kurzgeschichte "Kupfermond" landete bei einem Literatur-Wettbewerb 2006 auf einem vorderen Platz, wurde im Schreiblust-Verlag veröffentlicht und basiert auf einer wahren Geschichte. Welche das ist, kann ich nicht verraten, ohne zu spoilern. Nur so viel: Einige der von mir beschriebenen, fiktiven Details entpuppten sich erst nach 2006 als wahr und wurden erst nach der Veröffentlichung dieser Story wissenschaftlich bewiesen. Also funktionierte mein 7. Sinn auch damals schon. Viel Spaß beim Lesen und Rätseln! 

Spoilerarlarm für Leser mit super guten Augen: Ötzi war's. Ötzi, der Mann aus dem Eis.


Kupfermond


Goran rang nach Luft. Aufgewirbelte Eiskristalle stachen ihm ins Gesicht, jeder Atemzug schmerzte. Er verfluchte seinen hastigen Aufbruch und drehte sich nach seinem Verfolger um. In der sternenklaren Nacht konnte er ihn gut erkennen. Ganz unten, am Fuße des Berges lief Ankus, mit kraftvollen Schritten, den Langbogen in der Hand. Er würde ihn einholen, wenn er zu lange verschnaufte. Ankus war jünger, flinker - und wütend, sehr wütend. Goran trug nur das Steinmesser, einen angefangenen Bogen und das Kupferbeil bei sich, welches er vor vielen Sommern selbst gefertigt hatte. Früher verfehlte er damit auf zweimal zehn Schritt kein Ziel. Jetzt war sein Wurfarm lahm und die Augen sahen nicht mehr scharf. Er war alt, aber längst nicht gebrechlich wie die Greise, die nahe bei der Höhle hausten und auf Almosen der Sippe angewiesen waren. Mehr als viermal so viele Winter, wie sich Finger an seinen Händen befinden, hatte Goran erlebt. Nun wurde er von dem Mann gejagt, den er wie sein eigen Fleisch und Blut aufgenommen und ihm das kostbare Handwerk ihrer Vorväter beigebracht hatte! Tränen der Wut schossen Goran in die Augen. Schnell wischte er mit den Fäustlingen über sein Gesicht. Eisklümpchen klebten in Wimpern, Brauen und Bart.
Mühsam stapfte er weiter. Die Schnürung des rechten Fußlappens löste sich, er spürte, wie der Schnee durch die Naht der hirschledernen Sohle drang und das Strohfutter durchnässte. Seine Zehen wurden taub. Wenn er es bis zum Gipfel schaffte, war er in Sicherheit. Der geflochtene Umhang aus Seidelbast und Baumrinde, den er über der Ziegenfelljacke trug, könnte ihm als Schneerutsche dienen. Damit würde er entkommen. Ein solches Kleidungsstück besaß Ankus nicht. Aber bis zum Gipfel war es noch weit und Goran wusste nicht, was ihn dahinter erwartete. Die Luft war grausam kalt, die große Mondscheibe schien rot am Nachthimmel und ließ den Schnee kupfern glitzern.
Die Farbe des Mondes verhieß nichts Gutes.
  
Schon einmal hatte Goran einen solchen Mond gesehen, der leuchtete wie das Erz, das er bearbeitete.
In jener Nacht war es seltsam still. Doch urplötzlich löschte heftiger Wind die Feuer in den Hütten und in der Höhle, welche dem Volk als Winterquartier und Vorratskammer diente. Goran hatte sein Weib nach draußen zur Schmiede geschickt, um wärmende Felle zu holen und sah, wie sie sich gegen den Sturm stemmen musste. Dann bebte der Berg und entlud seine Schneelast über dem Lager. Sie brauchten Tage, um den Ausgang frei zu graben. Seine Frau blieb verschwunden, ebenso die Alten und Kinder, die es nicht rechtzeitig in den schützenden Stollen geschafft hatten. Die Hütten wurden von der Lawine weit ins Tal gerissen, Jagdgerätschaften und Werkzeuge zerstört. Nur seine Kupferschmiede, im Schutze einer Felsnische aus Lehm und Steinen geschichtet, die Goran als Behausung selbst im Winter oft der stinkenden Höhle vorzog, trotzte dem Zorn der Götter. Er bekam viel Arbeit. Er musste neue Werkzeuge und Klingen herstellen, erhielt reichlich Essen, wurde versorgt aus den Vorräten und der Jagdbeute seiner Sippe.
Kurz darauf nahm er sich das junge Weib des Ziegenfängers, der aus dem Sturm nicht zurückgekehrt war. Seitdem gehörten auch eine Handvoll gezähmter Bergziegen zu seinem Besitz.

Der Gejagte stöhnte. Sein tauber Fuß konnte einen Schneebrocken nicht von einem Fels unterscheiden und knickte um. Er spähte nach unten, Ankus war ihm auf den Fersen, doch noch so weit entfernt, dass dessen Rufe nur als dünne Lautfetzen zu ihm drangen. Nach kurzem Zögern griff er nach dem Lederbeutel, der etwas Trockenfleisch enthielt, schnitt ihn in Streifen und umwickelte seine zerrissene Fußbekleidung damit. Den Beutel mit dem Feuerwerkzeug ließ er unversehrt, ihn würde er noch brauchen.
Goran wollte ausruhen, nur kurz. Doch er durfte nicht verweilen, musste sich aufrappeln, musste weiter, den Gipfel erreichen, den Kupfermond hinter sich lassen!
Eisluft kroch in seine Nase, Augen und Ohren.
Die löchrige Bärenfellmütze schützte nicht gut vor der Kälte, die der Herrscher der Berge diesmal zeitiger als sonst über die Hochlandbewohner schickte.

Die neue Mütze hatte sein zweites Weib nicht mehr fertig stellen können. Sie starb vor wenigen Monden. Mit ihr das unerwünschte Mädchen, das sie gebar. Das zuvor ihren Leib aufblähte und beinahe zum Platzen brachte, so dass sie weder in der Lage war, das Feuer der Kochstelle, noch die Schmelzglut der Kupferrinne zu hüten oder Brennholz zu sammeln. Diese Arbeit übernahm die Tochter seines ersten Weibes. Dieses zerbrechliche Wesen war stärker, als es aussah und somit doch zu etwas zu gebrauchen.
Zahlreiche Sommer und Winter hatte Goran auf einen Sohn gehofft, der seine Kupferschmiede, die ihm Ansehen und Wohlstand verschaffte, weiterführen würde. Aber auch der Schoß der zweiten Frau blieb lange unfruchtbar. Zuletzt kreischte und wand sie sich, wenn er sie besteigen wollte und hielt erst still, wenn er sie an den Haaren packte und schlug. Später wuchs ihr Bauch, mit ihm seine Hoffnung, und er wagte nicht mehr, sie anzufassen. Bis – ja, bis die Öffnung zwischen ihren Schenkeln, statt des ersehnten Sohnes, ein nutzloses Mädchen ausspuckte! Es gelang ihm nicht, seine Wut darüber zu bändigen.
Danach blieb ihm nur die ältere Tochter. Als er sie näher betrachtete, bemerkte er ihre weichen Formen unter dem dicken Fellkleid. Ihre Arme waren kräftig, ihr Blick sanft und kindlich. Nele würde eine gute nächste Frau abgeben. Er wusste, dass Ankus ein Auge auf sie geworfen hatte. Oft schweifte dessen Blick von der Arbeit ab und verweilte auf ihrer Gestalt, wenn sie im hinteren Teil der Schmiede mit der Essenszubereitung beschäftigt war. Kam sie mit einem Arm voll Holz für das Feuer, sprang Ankus sofort auf und nahm es ihr ab. Nach dem Unglück mit seiner letzten Frau konnte Goran das Mädchen jedoch nicht hergeben. Denn er brauchte Nele, damit sie ihn versorgte. Er war ein geachteter Mann, niemand aus seinem Volk würde etwas dagegen einzuwenden haben. Sein Geselle musste sich eben ein anderes Weib suchen oder eines aus einer fremden Sippe holen.
In der ersten Nacht sträubte sich Nele, als er sie zu sich nehmen wollte. Doch dann gab sie nach und teilte das Lager mit ihm, um ihn zu wärmen. Am nächsten Morgen erzählten ihm die anderen Männer, dass sie Ankus mit Gewalt von seiner Hütte fernhalten mussten. In der darauf folgenden Nacht wollte Goran das Mädchen endgültig zu seiner Frau machen. Nele wehrte sich heftig und als er mit kräftigen Stößen in sie eindrang, schrie sie gellend. Sie hörte erst auf, als er ihren Schädel auf den Lehmboden schlug. Still blieb sie liegen. Er bettete seinen Kopf auf ihre warme Brust, bedeckte ihre beiden Körper mit Fellen und schlief erschöpft ein.
Goran erwachte, weil ihm kalt war. Nele wärmte ihn nicht mehr. In der Glut des sterbenden Feuers sah er ihre glanzlosen Augen, die ihn vorwurfsvoll anstarrten. Ihr langes Haar war von geronnenem Blut verklebt, Goran sprang auf. Dieses Unglück würde ihm sein Volk übel nehmen! Der Tod seiner letzten Frau und des Neugeborenen wurde als Wille der Götter angesehen. Dieses Mal war es anders. Er musste verschwinden! Über den Berg, auf die andere Seite, weit weg. Hastig packte er Vorräte in ein Tragegestell, nahm den wertvollen Beutel mit dem Feuerwerkzeug, das Messer, die Kupferaxt und einen angefangenen Eschenholzbogen. Er zog seine Winterkleidung an und stahl sich in die Nacht.
Goran war noch nicht weit vom Dorf entfernt, als er einen markerschütternden Schrei hörte. Diesmal würden die anderen Männer Ankus nicht aufhalten.

Goran starrte auf die kupferne Mondscheibe. Es war seltsam still. Seine Beine schmerzten und er drehte sich um. Sein Verfolger war deutlich näher gekommen.
„Heho, Ankus, heho. Lauf zurück und warne die anderen! Der Zorn der Götter wird gleich über uns hereinbrechen. Ich werde fortgehen und nicht wieder kommen. Die Kupferschmiede, ich gebe sie dir. Hol dir ein anderes Weib und lass mich ziehen“, rief der Schmied.
„Was kümmern mich die Götter“, schrie Ankus. „Du hast meinem Mädchen das Leben genommen. Dafür werde ich deines nehmen!“
Ankus brachte den Langbogen, den er mit Hilfe seines Lehrmeisters gefertigt hatte, in Position, spannte, zielte und schoss.
Der Pfeil bohrte sich in den Schnee, dicht neben Gorans Knie. Der nächste Pfeil traf die linke Schulter. Er spürte einen scharfen Schmerz, als die steinerne Spitze Muskeln zerriss und die Arterie durchtrennte. Sein Körper bäumte sich auf und verharrte für die Dauer von sieben Schritten regungslos im Angesicht des Mondes. Sieben Schritte vom Feuer zum Amboss, sieben quälende Augenblicke bis zur Erkenntnis. Gorans Augen weiteten sich und widerspiegelten den feurigen Schein der Kupferscheibe.
Langsam sank der Schmied auf die Knie und kippte seitwärts in den Schnee, der sich augenblicklich rot färbte. Leise und unaufhaltsam sickerte das Leben Gorans in das Innere des Berges, doch er sah, hörte und spürte noch alles. Aus weiter Ferne war ein Grollen zu vernehmen, das sich mit den Klagerufen Ankus’ vermischte.
Wind kam auf. Der Mond wurde erst tiefrot, dann schwarz, als wäre er in Trauer gehüllt, bis ein gewaltiger Sturm die Stille durchbrach, fauchend den Gipfel abdeckte, und sich die Schneemassen brüllend ins Tal ergossen. Gorans Todesschrei gefror im Eis.

Jahrtausende später wurde sein Leichnam von deutschen Bergwanderern gefunden.


©Claudia Göpel
06.11.2006



Mein Schreibstil hat sich in den vergangenen zehn Jahren etwas verändert und verfeinert. Bestimmt habt ihr trotz einiger Schachtelsätze und überflüssiger Kommas herausgefunden, um wen es in der Geschichte geht. Der kleine Mann verblüffte 1991 weltweit die Wissenschaftler, feierte im letzten Monat (also im September 2016) ein 25-jähriges Jubiläum, und träumte davor über 5.000 Jahre im ewigen Eis. Das könnt ihr jetzt auch, also träumen. ;)

Erinnerung: Der Schreiblust-Verlag hatte auch 2016 einen Literaturwettbewerb am Start und suchte Kurzgeschichten zum Thema: "
Wenn das rauskommt, haben wir ziemlich große Probleme!" Es gab keinerlei Einschränkungen zum Genre. Momentan werden die Einsendungen gesichtet. Ich drücke allen teilnehmen Autoren die Daumen!

Träumt schön!

Traumzauberhafte Grüße, Claudia 

Und wer immer noch nicht weiß, um wen es in der KG geht... Ötzi war's. Ötzi, der Mann aus dem Eis.Ötzi eben.:)

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