Traumzaubereien

Traumtagebuch, Traumlexikon, Traumanalyse, Urlaubsträume, Gedanken, Humor, Geschichten, Texte und Träumereien über Alltägliches

diary, dream analysis, dream dictionary, dream magic, visions, dream symbols, fun, satire, stories, texts and dreams about everyday life

Donnerstag, 7. Mai 2015

Albtraum eines Texters

gefährliche Schieflage?

Geht das Schiff schnell oder langsam unter? Dass ich unter anderem als Texter arbeite, ist bekannt. Gelegentlich und bislang sehr gern nutze ich für Textaufträge auch Textbörsen. Zum Glück ist mein Nervenkostüm durch den kürzlichen Inselurlaub leidlich gestärkt. Doch was mir in den letzten Tagen auf einer dieser Textbörsen passierte, ist unglaublich und Realsatire im wortwörtlichen XXL-Format. Achtung: Bauchmuskelkater -  Comedy-Alarm für Insider!!! 





Webseiten und Onlineshops müssen mit gutem Content gefüllt sein, damit die Kunden/User auf dem Portal bleiben - lesen, Werbung anklicken und/oder Produkte kaufen. Die meisten Webseitenbetreiber verlassen sich auf professionelle Texter, die diese aufwändige, mehr oder weniger kreative Schreib-Arbeit übernehmen. Besonders Clevere lassen ihren benötigten Content billig auf Börsen von verschiedenen Autoren per Open Order schreiben. Einige dieser AGs wissen obendrein alles besser, ohne den/die Texter an ihren Gedanken teilhaben zu lassen. Sie tippen vorhandenes/eingekauftes Material um oder sie texten ihre Texte gleich selbst, weil sie schließlich im Deutschunterricht mal die Note 1 hatten. Das kann ziemlich nach hinten losgehen. Sogar mit Garantie.


XXL-Albtraum eines Texters


Im aktuellen, ausführlich geschilderten Fall geht es um ein neu zu bestückendes Online-Portal für Übergrößen-Mode. Der wohl noch unerfahrene Kunde hat einen ganzen Schwung Textaufträge im mittleren und oberen Preissegment bei einer Börse eingestellt, die dort liegen wie Blei. Für einen SEO-Text von 300 Wörtern Länge zahlt er (je nach Sterne-Einstufung des Autors) zwischen 4 und 6 Euro plus 35 Prozent Bearbeitungsgebühr. Für den untenstehenden, deutlich längeren Kategorie-Text mit über 700 Wörtern (bezahlt/gewünscht waren 600) erhalte ich als ausführender Texter knapp über 13 Euro und verbrauche im Endeffekt 40 Zigaretten, 12 Tassen Cappucchino und 8 Stunden Energie. Warum? Weiterlesen!

Die Aufgabe ist ziemlich einfach: Schreibe einen SEO-Text, der meinen Shop in nullkommanix im Ranking nach oben katapultiert. Kein Problem, habe ich schon tausendfach gemacht und eh grad bissel Luft. Nun strotzt das Briefing aber vor unrealistischen Anforderungen. Zum Beispiel wünscht der Kunde mindestens 15 interne Linkeinbindungen und etwa 200 KWs (Keywords/Schlagwörter) auf 600 Wörter, die bitteschöngefälligst in gut lesbaren Mehrwert vertexthext werden sollen. Dem Kunden muss geholfen werden, denke ich, und schreibe ihm mit glühenden Synapsen und Fingerspitzen zwei solcher SEO-optimierte Texte - allerdings ohne Linkeinbindungen, denn es sind keine Linkziele vorhanden, weil die Webseite noch komplett nackt ist. Das ist der zweite Text im Original:


Screenshot - Original vom 05.05.15


Voilà - Texter kaputt, Kunde glücklich? Pustekuchen! Die Textarbeit wird in Revision geschickt mit folgender Nachricht (sinngemäß), in der er mich zudem auffordert, mich am bereits veröffentlichten ersten Text zu orientieren: "Text ist ja schon ganz schön, aber die Links zu den Childs und Parents fehlen. SEO-Texte für Startseiten werden IMMER in der 3. Person geschrieben, das müsste ein Texter wissen." Nee, das wäre mir neu und von Child-Links und Parent-Links habe ich auch noch nie etwas gehört. Also schreibe ich dem Kunden eine höfliche Mail:

Sehr geehrter xxx,

vielen Dank für Ihre Nachricht und die Möglichkeit der Revision. Allerdings lassen Sie mich ziemlich ratlos zurück.
Es sind keine Inhalte zum Verlinken vorhanden. Gewünschte Verlinkungen bitte zum gegebenen Zeitpunkt selbstständig auf Ihrer Seite vornehmen, die möglichen Begriffe dazu sind im Text genannt. Das Heraussuchen/Setzen von insgesamt 15 Links würde zudem einen erheblichen Mehraufwand darstellen, der mit der Textvergütung in keiner Weise abgegolten ist.

Der gewünschte unpersönliche Stil ist aus dem Briefing nicht ersichtlich, im Gegenteil. O-Ton Ihres Beispieltextes: "Inbesondere bei UNSEREM Partner schuhxxx ..." Auch sind mir einige Fachbegriffe nicht geläufig. Was sind Childs, was sind Parents?
Den bereits eingepflegten ersten Text habe ich entdeckt, inklusive der zahlreichen RS/G- und sonstigen Fehler, was mich ziemlich entsetzt hat. Im ersten Moment dachte ich, dass ich Ihnen einen unkorrigierten Text mit lauter Tipp- und Formatierungsfehlern geliefert hätte, bis ich merkte: Das sind nicht meine, sondern Ihre Fehler.
Auch die Menge der gewählten KWs ist zu hoch, um einen gut lesbaren Text zu erarbeiten. Wenn Sie weiterhin von qualitativ hochwertiger Textarbeit aus meiner Tastatur profitieren möchten, dann schreibe ich Ihnen die benötigten Texte inklusive Links gern per Direktorder zu einem angemessenen Preis. Danke für Ihr Verständnis.

Viele Grüße, Claudia G. (Dienstwerk)


Das Traumschiff läuft zielsicher auf Grund


Weil meine Nachricht unbeantwortet bleibt, sende ich den XXL-Text nach einigen Stunden unverändert wieder ein, damit der Auftrag nicht verfällt und der Kunde nicht mit leeren Seiten dasteht - zumal ich den gesamten restlichen Tag unabkömmlich bin. Ich werde nämlich kurzfristig zu einem Klinikclowneinsatz angefordert. Der gute Mann scheint entweder gewaltig verärgert zu sein oder nur darauf gewartet zu haben, rafft all seinen Mut zusammen und nimmt den Text mit Links-Daumen und Daumen-Runter-Bewertung an, mein allererster übrigens. Das sieht dann so aus: 
Anschließend bastelt er auch diesen Text im Turbotempo mit zahlreichen Rechtschreib- und Grammatik-Fehlern, neckischen Änderungen, Ergänzungen und Sinnverfremdungen sowie 28(!) Links auf seiner Seite ein. Hier ist das Endergebnis - viel Spaß:

Screenshot vom 07.05.15



Ist der Text nicht traumhaft geworden?! Ich bin verliebt in den letzen Satz des vorletzten Absatzes. ;) Wenn jetzt jemand unbändige Lust bekommen hat, es auch mal als Texter/Lohnschreiber auf einer Textbörse zu versuchen, dem drücke ich natürlich alle vier Daumen. Damit diese unfassbare, aber actionreiche Aktion mich nicht in meine Träume verfolgt, MUSSTE ich sie auf diesen Blog auslagern. Mal sehen, ob es geklappt hat.

Sonja Klein hat übrigens kürzlich für Content.de einen sehr informativen Beitrag, eigentlich für Texter verfasst, den sich vor allem der selbstbewusste XXL-Kunde/Auftraggeber zu Herzen nehmen sollte – bevor er mit verkorksten Texten seinen Webauftritt in den Google-Keller fährt: Produkttexte verfassen - so geht's richtig!


Träumt schön!

Traumzauberhafte Grüße, Claudia


Nachtrag 1: Wie kommt eine solch hohe Keyword-Dichte überhaupt zustande? In einem Text von 600 Wörtern wären 200 Wörter (60 mehrteilige KWs) rein rechnerisch eine Quote von 35% - technisch unmöglich! Von SEO-Experten empfohlen werden 2-3% - auf EIN Schlüsselwort bezogen. Je mehr KWs, umso niedriger muss die Quote sein. Im vorliegenden Fall wären 0,1% angebracht gewesen. WDF*IDF ist für Laien ohnehin ein Buch mit 'zig Siegeln. Der Kunde hat SEO-Optimierung falsch verstanden, aber immerhin schon mal was von Long-Tail-Keywords gehört. Er hat acht bis zu sechsteilige Keyword-Phrasen mit 1-2% pro Text festgelegt und obendrein versäumt, Flexionen und Stoppwörter zuzulassen. Hier wird seit 2013 erklärt, wie's richtig geht: Optimale Keyword-Dichte

Nachtrag 2: Ihr braucht nicht zu suchen. Die Webseite ist noch nicht gelistet und Fragen nach dem Link zum Shop oder gar nach dem Namen des Kunden beantworte ich nicht! 


Info: Unter einigen Beiträgen ist ein Werbebanner zu finden. Die Inhalte werden automatisch erstellt und sind manchmal durchaus passend und informativ.

8 Kommentare:

  1. Kurze Info: Aus Gründen der Übersichtlichkeit habe ich die Google+-Kommentare wieder unsichtbar gestellt. Sie sind nicht weg, sondern auf meinem Google+-Profil unter den jeweiligen Beiträgen zu finden.

    AntwortenLöschen
  2. Hei Claudia .. ich glaube, in meinen Blogs muss man Kommentare anklicken, dann kann man sie unter den Beiträgen sehen, sonst nur, dass es da welche gibt. Ich hab das aber nicht so eingestellt, ich glaube, das war so voreingestellt.

    Ich vermute, den gleichen Kunden hatte ich auch drei Mal am Wickel, aber eine Stufe unter Dir und mit einer kürzeren Wortzahl (280 - 300 waren das, soweit ich mich entsinne).

    Ich hatte bisher Glück, den ersten hat er abgenommen, ohne viel Lob, aber auch ohne Änderungswunsch oder Daumen runter oder so .. also normal .. uff. Es fehlen aber noch zwei, die aur wartend stehen.

    Mir ging es ähnlich .. nix zu sehen, aber ich sollte Verlinkungen setzen .. habe ihm dann gleich geschrieben, dass ich ja nicht was verlinken kann, das noch gar nicht da ist, sondern halt nur versuchen, Formulierungen zu finden, wo er dann später, wenn es eine URL gibt, auch was unter dem Wort verlinken könnte.

    Ich habe dann auch geschrieben (hatte Hemdchen für Damen in Übergrößen, Brautschuhe für große Füße und 7/8-Hosen für Damen in großen Größen), nun ja hat ja selbst Übergewicht und kenne mich mit Mode für mollige Frauen aus und über meine Kinder, von denen drei ellenlang geworden sind und passende Füße haben auch mit Riesenlatschen .. ich werde versuchen, was Vernünftiges abzuliefern, die Keyword-Dichte würde das aber schwierig machen, zumal auch noch die vielen Verlinkungen dazu kämen, was ich ja alles da irgendwie rein basteln müsste.

    Ich habe da auch echt lange zu gebraucht ... 3,90 Euro pro Text und 2 - 3 Stunden Gewurstel ist echt kein guter Schnitt, hatte mir die Texte auch bei Annahme leichter vorgestellt.

    Mal schauen, ob ich womöglich auch noch welche zurück kriege .. stöhn, hoffe nicht.

    Lass Dich nicht unterkriegen, es gibt ja auch viele Kunden, die in Ordnung sind.

    LG
    Renate

    PS: Es gibt auch nen Mode-Kunden, der Links möchte .. aber welche und auch bei den Keywords bescheidener ist ... sowas schreibe ich durchaus gern .. es kommt halt auf die Menge an, die rein muss, ob man dann noch einen lesbaren und auch guten Text dazu stricken kann.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Renate,

      danke für Deinen ausführlichen Kommentar. Scheint derselbe Kunde zu sein. Er hat seine Aufträge in verschiedene Qualitätsstufen auf der Textbörse eingestellt. Dann hoffen wir mal, dass ihm von kompetenter Seite geholfen wird. Denn Texter, die ihm seinen Content bereits für Peanuts liefern, können ihn nicht auch noch in SEO-Optimierung schulen.
      Billig bleibt halt billig, das wird er schon noch merken.

      Liebe Grüße, Claudia

      Löschen
    2. Sorry, dass es mit deinem Kommentar unter meinem Beitrag http://texterstellung.officestopp.com/seo/was-ist-online-reputation-management nicht geklappt hat. Ich kenne mich in technischen Dingen bei WordPress nicht aus und lasse sowas einstellen - vermutlich hat der Admin hier die Kommentarfunktion auf "Aus" gestellt. Was solche Kunden betrifft - ich hatte einen ähnlichen mit 150 Wörtern zu Möbeln. Zwar waren da jetzt eine extreme Key-Dichte und interne Verlinkungen nicht gewünscht, aber dafür zwei haargenau gleichlange Absätze und gewisse Formulierungen durften nicht sein, wie "passt zu dieser Einrichtung" oder "fügt sich harmonisch ein". Außerdem durfte es nicht zu werblich sein usw. Was mir auffällt - selbst bei den mies bezahlten 2- und 3-Sterne Aufträgen haben die Kunden Vorstellungen, die kaum zu realisieren sind. Eventuell bringe ich das bei textbroker mal ins Gespräch.

      Das andere Problem, das ich immer wieder habe: Viele Auftraggeber können keine Prozentrechnung. Wie du richtig sagst, sind 2 bis 5 % Key-Dichte normal, wobei hier weniger besser ist. In einem Text von 1000 Wörtern muss demnach ein Key 20 x vorkommen. Der Auftraggeber löscht dann aber mindestens 10 davon, weil er merkt, dass der Text dadurch in der Lesbarkeit natürlich leidet. Oder wie in deinem Fall, wenn er auf 1000 Wörter 200 Keys haben möchte, dann kann man eigentlich nur noch ein paar wenige Formulierungen um die Keywords drum herum basteln - relativ wenig Schreibaufwand - eigentlich. Aber dann löscht er auch bis auf 20 alle, weil er ja nur 2 Prozent wollte. Bei 500 Wörtern sind 2 Prozent auch 10 Keys und nicht nur 2. Manche denken aber, dass 2 Prozent = 2 Stück sind. Vielleicht könnte textbroker darauf im Ratgeber für Auftraggeber nochmal eingehen. Auf dem "freien Markt" kann man es den Kunden ja erklären, da 1. direkter Kontakt möglich ist und 2. besser bezahlt wird - mit etwas Glück auch die Beratungszeit :-)

      Löschen
    3. So sieht's aus, Heike.
      Dann wünsche ich Dir optimale Erkenntnisse in Mainz und viel Spaß! ;)

      Liebe Grüße, Claudia

      Löschen
  3. Kurze Info: Die Negativbewertungen des Kunden wurden heute vom Support des Portals entfernt/neutralisiert, weil sie ungerechtfertigt waren und es an meinen XXL-Texten nichts auszusetzen gab. Sehr schön. Danke.

    AntwortenLöschen
  4. Hallo Claudia!
    Da bewegt sich natürlich sofort mein Texterherz. Das ist tatsächlich unglaublich. Gut, dass die Bewertung mittlerweile aufgehoben wurde.
    Im Allgemeinen zum Texten kann ich dir nur beipflichten - man verbraucht viel Herzblut (oder auch Cafe und Zigaretten) und erhält meist wenig Geld. Aber wer es liebt, der kann nicht anders.
    Daher weiterhin viel Erfolg bei deinen Texten. herzlichen gruß Melanie

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebe Melanie,

      vielen Dank für Deinen Kommentar. Das mit den geringen Honoraren hat sich seit einiger Zeit erledigt. Der Kaffee- und Zigarettenkonsum (je nach Thema auch Wein) ist leider gleich geblieben. ;)

      Lieben Gruß, Claudia

      Löschen